»Das Neue Evangelium« von Milo Rau (per Video on Demand)

Der Schweizer Milo Rau ist als politischer Aktivist, Theaterautor und Regisseur, als Reporter aus Krisengebieten und Essayist bekannt geworden, und mit den politischen Dokumentationen »Das Kongo Tribunal« und »Die Moskauer Prozesse« hat er sich auch im Kino einen Namen gemacht. In seinem aktuellen Film verbindet er die biblische Erzählung vom Wirken Jesu mit der aktuellen Notlage der afrikanischen Migranten in Italien.

»Das Neue Evangelium« ist eine Mischung aus Dokumentar-, Spiel- und politischem Agitationsfilm. Produziert wurde er in der süditalienischen Stadt Matera, die mit ihrer malerischen Altstadt mittlerweile eine achtbare Tradition als Drehort für Bibelfilme besitzt. Pier Paolo Pasolini inszenierte hier »Das erste Evangelium Matthäus«, die wohl beste aller Bibelverfilmungen, und Mel Gibson seine allgemein unterschätzte filmische Annäherung an »Die Passion Christi« in lateinischer Sprache.
Matera, europäische Kulturhauptstadt im Jahr 2019, kommt, wie viele süditalienische Orte, seit Jahren mit der Unterbringung der aus Afrika Geflüchteten nicht zurecht. Die Menschen, die nur als schlecht entlohnte Erntehelfer willkommen sind, hausen in provisorischen Zelten und Baracken, in Ghettos mit weitem Abstand zu den Touristenattraktionen.
An diesem Ort hat also Milo Rau seine zeitgenössische Version des Evangeliums angesiedelt, und folgerichtig wird Jesus in seinem Film auch von einem Afrikaner, dem aus Kamerun stammenden Politaktivisten Yvan Sagnet, dargestellt. Er bildet einen markanten Kontrast zu den oftmals allzu blonden Jesusgestalten in der europäischen Kunstgeschichte.
Der dunkelhäutige Jesus kommt als »Menschenfischer« zu den Erniedrigte und Beleidigten in das größte Migrantenlager. Unter den dort Gestrandeten findet er die Menschen, die ihm folgen und sich ihre Erlösung erhoffen.
Neben dem Passionsspiel, das dem Film die »schönen Bilder« und bekannten Bibelzitate liefert, sind auch die Dreharbeiten zu sehen. Rau knüpft an sein Vorbild Pasolini an, indem er die Rolle des Johannnes des Täufers mit Pasolinis einstigem Christusdarsteller, Enrique Irazoqui, besetzt. Die Vorführung von Pasolinis Film in einem kleinen Kino gehört gewissermaßen zur Einstimmung.
Die römischen Soldaten werden hingegen von den Einheimischen gespielt. Der Bürgermeister von Matera möchte statt Pontius Pilatus lieber den barmherzigen Cyreneus darstellen, der für Jesus ein kurzes Wegstück das Kreuz trägt. Er will mit der Schuldfrage liebernichts zu tun haben.
Parallel zum Passionsgeschehen sind Dokumentaraufnahmen von Protestaktionen der Afrikaner montiert, die im Film immer mehr Gewicht bekommen. Nach Angaben des Regisseurs leben in Italien über 500.000 Menschen unter unwürdigen Umständen. Gemeinsam mit ansässigen Kleinbauern begründen sie die »Revolte der Würde«, eine politische Kampagne, die auch für die Rechte von Migrantinnen und Migranten kämpft.
Es ist eine rein politische Sicht der Bibel, die der Film propagiert. Das entspricht dem Zeitgeist, doch auf die schiefe Bahn gerät Rau, wenn er die Gerichtsverhandlung von Pontius Pilatus als eine rassistische Veranstaltung darstellt. »Kreuzigt den Schwarzen!« schreit da die Menge der hellhäutigen Italiener. Das hat mit dem Karfreitag nichts zu tun.
Das Christentum ist zuerst eine Religion für den Einzelnen, an den sich Jesus immer wieder gewendet hat. »Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein!« Aus den religiösen Geboten lassen sich politische Konsequenzen nur eingeschränkt ableiten. Deshalb hat der große evangelische Theologe Karl Barth Konrad Adenauer davon abgeraten, eine politische Partei christlich zu nennen. Und die fundamentalsten politischen Forderungen an »christliche Politiker« kommen zumeist von erklärten Atheisten.

Claus Wecker (Foto: © Fruitmarket Langfilm/IIPM/Armin Smailovic)

DAS NEUE EVANGELIUM
von Milo Rau, D/CH/I 2020, 107 Min.
mit Yvan Sagnet, Papa Latyr Faye, Samuel Jacobs, Enrique Irazoqui, Marcello Fonte, Maia Morgenstern
Drama

Der Film ist per Video on Demand unter www.dasneueevangelium.de verfügbar. Der Zuschauer erwirbt sein Online-Kinoticket und wählt gleichzeitig ein Kino aus, das er am Erlös beteiligen möchte. Dieses Kino erhält dann 30 % des Preises eines digitalen Tickets. Der Film ist nach Bezahlung und anschließender Aktivierung der Ticket-ID 24 Stunden streambar.

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