Das Städel entdeckt »Holbein und die Renaissance im Norden«

Das sieht der Kurator ganz nüchtern: dort, wo das Geld sitzt, da sitzt auch die Kunst, und wenn man Fugger hieß oder Welser und um 1500 in der Megacity Augsburg mit ihren konkurrenzlosen 30.000 Einwohnern lebte, da konnte man sich schon die Dienste eines Hans Holbein leisten, des Älteren und des Jüngeren dann auch, und Gemälde in Auftrag geben, Retabeln zum Beispiel für die hauseigene Kapelle, die als einzige in deutschen Landen über eine Orgel verfügte. Geld spielte da keine Rolle, es wurde im Handel verdient, die Familie Welser stattete Expeditionsschiffe in die Neue Welt aus und erhielt von Kaiser Karl V., in dessen Reich bekanntlich die Sonne nie unterging, 1528 Venezuela als Lehen zuerkannt. Die Familie Fugger finanzierte den Kaiser und den Papst.
Kommt einem bekannt vor: Die Medici in Florenz fallen einem als Referenzpunkt ein, und ihre Rolle bei der Förderung einer neuen Kunstrichtung, die später kunsthistorisch als Renaissance eingestuft wurde, und genau Gleiches widerfährt der Kunst nördlich der Alpen: es entwickelt sich die Renaissance des Nordens mit der bunten Handelsmetropole Augsburg als politischem und kulturellem Zentrum.
Genau sie ist jetzt Thema der neuen Schau des Städel. Der Epochenwechsel versinnbildlicht auch hier den Perspektivwechsel: Die Entdeckung des Individuums und des bürgerlichen Ich, die Wiederannäherung an die Philosophie und Ideale der Antike – Renaissance meint ja genau dies – Überwindung des Mittelalters und seines künstlerischen Bilderfundus und die Hinwendung zur Wissenschaft und Technik. Das entdeckerische und verantwortliche Ich schält sich aus den Umklammerungen religiöser Kontexte, die bislang auch die kulturellen definierten. Die Stars des Südens hießen Michelangelo, Donatello und Leonardo, die des Nordens Hans Holbein d. Ä. (ca. 1464–1524), Hans Holbein d. J. (1497–1543) und Hans Burgkmair d. Ä. (1473–1531).
Den Gedanken fortgesponnen: Die Ausstellung beginnt mehr oder minder mit der Präsentation des Geldsacks: mit einem Foto und Ausstattungsstücken, Putten, Büsten von und aus der Fugger-Kapelle und einem Doppelporträt von Hans Burgkmair, das Jakob Fugger und Sybilla Artzt zeigt, ganz in Gold und Schwarz, mit lebendigem, fast modernem, zumindest nicht übermäßig stilisiertem Gesichtsausdruck. Hier manifestiert sich die selbstbewusste Präsenz des Kapitals.
Ein bronzener Neptun mit einem Fisch beherrscht das zweite Kabinett des Ausstellungsparcours, eine typische Referenz an die Götter der Antike, die vom mittelalterlichen und päpstlichen Rom zuvor dem Erdboden gleichgemacht worden waren. Gegen Ende des 15. Jahrhunderts lag ja die halbe Stadt in Schutt und Asche, Florenz dagegen war ganz strahlende Metropole. Die bislang zumeist katholische Ikonografie veränderte sich: Es folgen individuell gestaltete Porträts; krumme, spitze Nasen wurden ebenso wenig unterschlagen wie ein fliehendes Kinn oder ein schielendes Auge, aber Schönheit fand auch ihr Recht wie bei einem »Bildnis eines jungen Mannes« mit langem lockigem Haar unter einem schwarzen Barrett, gemalt von Hans Burgkmair, das ein bisschen an den jungen Mick Jagger erinnert.
Wie die Medici ließen sich auch Mitglieder der Familie Fugger in die christliche Bilderwelt aufnehmen und ihre Porträts beispielsweise in eine Marienanbetung »schmuggeln«. Und ganz allmählich fallen die Fesseln, das zeigt die Ausstellung ganz genau: während Hans Holbein d. Ä. stark von der Kunst der Niederlande inspiriert wurde und Auftragsarbeiten wie den Frankfurter Dominikaneraltar ausführte – ein riesiges, zum Städel-Repertoire gehörendes Werk, das mitsamt vieler Skizzen und Vorarbeiten und einer großformatigen Passionsfolge präsentiert wird – schlägt sich Hans Burgkmair eher auf die Seite der künstlerischen Entwicklungen südlich der Alpen, zeichnet mit dem Rötelstift wie Michelangelo und zeichnet 1520 einen »südamerikanischen Mann«.
Die beiden Söhne Holbeins d. Ä. Ambrosius und Hans d. J. leiten dann zu neuen Sichtweisen über. Ein ganz besonderer Fokus der Ausstellung gebührt den beiden Madonnen von Hans Holbein d. J., die hier mit der Lucca-Madonna von Jan van Eyck aus dem Besitz des Städel kontextualisiert werden, ein Kleinformat im Gegensatz zu der Darmstädter (1526, gemalt von Holbein d. J. im Auftrag des Basler Bürgermeisters Jakob Meyer zum Hasen) und der Solothurner Madonna, ebenfalls in Basel 1522 entstanden. Sie beide gemeinsam in einer Ausstellung, ja gar in einem Raum zu sehen, ist eine kleine Sensation; es gibt keine gelungenere Einladung, in die Vielfalt des künstlerischen Ausdrucks, des Bildaufbaus und der Farbgebung dieser Kunstepoche einzutauchen.
Die Darmstädter Madonna ist das Covergirl des Kataloges, doch eines der berühmtesten Porträts leitet hinaus, repräsentiert den Weg Hans Holbeins d. J. an den englischen Königshof, wo er Porträts von u.a. Heinrich VIII., Thomas Cromwell, Jane Seymour und Anna Boleyn schuf. Aber es ist nicht eines aus dieser Reihe, sondern das träumerische »Bildnis des Simon George von Cornwall« mit der roten Nelke in der Hand aus dem Besitz des Museums selbst.

Susanne Asal
Bis 18.Februar 2024: Di., Mi., Fr.–So., 10–18 Uhr; Do., 10–21 Uhr
www.staedelmuseum.de

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