Wie ist das, wenn man seinem kulturellen Erbe gegenüber steht, in einem Museum in einer Gründerzeitvilla, in einer fremden Stadt, in einem fremden Land, gar auf einem fremden Kontinent? Wie fühlt sich das an, wenn die eigenen traditionellen, bis über 6.000 Jahre alten Felsbilder dort – kopiert und im Original – vor Fototapeten platziert sind, die eine weit zurück liegende Expedition in das eigene Land, die abgelegene Provinz Kimberley im Nordosten Australiens, dokumentieren?
Nun, ganz einfach: Das Land, the country, und die ihm innewohnenden Kräfte haben die fremden – deutschen – Forscher*innen damals angezogen, sie zu besuchen. Und dieselbe spirituelle Handlungsmacht des country hat 86 Jahre nach dieser Expedition veranlasst, die Beziehungen wieder aufleben zu lassen. Die Beziehungen zum – vereinfacht gesagt – Museum für Weltkulturen, denn in dessen Archiv lagerten die damals erworbenen Artefakte und Dokumentationen. Die Ko-Kuratorinnen und Künstlerinnen Leah Umbagai und Rona Gungnunda Charles von den Gemeinschaften der Wanjina Wunggurr laden heute dazu ein, diese Schau zu besuchen, die ihr country repräsentiert. Es ist von Geistern beseelt, die wir jetzt sehen werden – und die sich in Felsbildern manifestieren. Jene verkörpern Ideen und Geschichten und sind keinesfalls nur Ornament. Dies möchten wir respektvoll und mit offenem Bewusstsein erleben.
Das ist nun tatsächlich ein verblüffender Perspektivwechsel. Und bezieht sich auf eine von Leo Frobenius im Jahr 1938 angeregte Expeditionsreise, die unternommen wurde, um Galerien von Felsbildern der Gemeinschaften der Wanjina Wunggurr zu erforschen, die bis zum damaligen Zeitpunkt als von europäischen Kulturen weitgehend unkontaktiert galten. Der Ethnologe Leo Frobenius war damals Leiter des Frankfurter Instituts für Kulturmorphologie. Was die Forscher und Malerinnen von ihrer einjährigen Reise mitbrachten, galt dann tatsächlich als umfangreichste und gründlichste Beschäftigung mit der Wanjina Wanggurr Kultur, die von den drei Ethnien Ngarinyin, Woddordda und Wunambal gelebt und getragen wird, und bestand aus exakt ausgeführten Felsbildkopien, gezeichneten Porträts, Fotos, Expeditionsfilmen und ethnografischen Objekten. Sie wurden im Archiv des Instituts aufbewahrt, das später zum Museum für Weltkulturen werden sollte.
So oft wird das Wort »Dialog« bemüht, in diesem Fall ist es berechtigt, denn die Ausstellung beruht auf einer Initiative der Wanjina Wunggurr Gemeinschaften. Auch heute noch, erzählt Leah Umbagai von den Woddordda, liegt ihre Provinz außerhalb des Koordinatensystems des »erschlossenen« Australien. Und auch heute ist es so, dass der Perspektivwechsel völlig unbeirrt Platz in ihrem kulturellen Kosmos hat, denn der Künstler, die Künstlerin malt nicht einfach Bilder mit kulturell-spirituellem Inhalt, er/sie muss dazu berufen und autorisiert worden sein, er/sie ist also Erlaubnisträger*in. Was man sieht, sind keine Abbildungen, sondern die Wesen selbst. Diese Wesen haben Macht bis hinein in die Beherrschung des Klimas. Jede Figur hat ihren Hüter, der sich um das Felsbild bemüht. Wenn man seine Farbe auffrischt, frischt man auch dessen Macht auf.
Eine Frage, die implizit allen Forschungsvorhaben innewohnt: Wollten die Gemeinschaften wirklich »erforscht« werden, auch wenn, wie in diesem Fall, die Geister ihre Erforscher herbei gerufen hatten? Welche Folgen hatte dies für sie, für ihre Kultur, für ihre Kunst? Mit welchem Respekt wurde ihnen begegnet? Damals, beispielsweise, setzte man sich ganz offensichtlich darüber hinweg. Zwei unautorisierte Frauen kopierten die Felsbilder, fertigten Bleistiftzeichnungen von ihnen an. Als sich Gerta Kleist im Camp die Hand verbrannte, interpretierten die Heimischen dies als rächenden Biss eines Krokodils.
Es ist eine sehr lebendige, spannende Ausstellung geworden, die das Museum der Weltkulturen gemeinsam mit den australischen Communities gestaltet hat, weil sie die Besucher*innen an dieser Expedition und an dem Prozess des »Entdeckens« teilnehmen lässt. Das reichliche Foto- und Filmmaterial begleitet die vielen Sensationen dieser Entdeckungen, das Auftauchen der spektakulär bemalten Felsbildgalerien, das Wunder der Begegnung mit dem Fremden. Und diese unglaublich großäugigen Geister.
Die Geschichte geht weiter, und darin liegt ihr großer Reiz: Im ersten Stockwerk ist der gesamte Vorplatz den künstlerischen Neu-Interpretationen des Felsbild-Fundus gewidmet, gemalt von Künstler*innen der verschiedenen Communities, die auch im kulturvermittelnden Bereich arbeiten. Das ist einfach toll. Ihre Werke wurden vom Museum für Weltkulturen aufgekauft. Aus der Wiederbelebung der Verbindungen zu den Gemeinden in Kimberley ist jetzt tatsächlich ein Austausch – und vor allem – eine Weiterentwicklung auf einer neuen Ebene geworden. Könnte dies tatsächlich ein Schritt in die Dekolonisation sein?
Susanne Asal
Foto: Rona Charles: Bradwodingari 2023
Genehmigt durch Wilinggin Aboriginal Corporation Sammlung
Foto: Wolfgang Guenzel
Bis 31. August 2025: Mi., 11–20 Uhr; Do.–So., 11–18 Uhr
www.weltkulturenmuseum.de