Es ist der älteste Preis für Kriminalliteratur im deutschsprachigen Raum, jetzt im Dezember 2024 wurde er zum 41. Mal vergeben. Mit dem Deutschen Krimipreis werden seit 1985 alljährlich Autorinnen und Autoren für Romane gewürdigt, die dem Genre literarisch gekonnt und inhaltlich originell neue Impulse geben.
Die Jury besteht aus Krimi-Kritiker*innen sowie Krimi-Buchhändler*innen, insgesamt 22 an der Zahl. Der Preis ist nicht dotiert. Gleichwohl ist er hoch begehrt und wird von den Verlagen gerne mit Stickern kenntlich gemacht. Der Titel Krimipreisträger gilt lebenslang. Es gibt jedes Jahr sechs Preise, drei für deutschsprachige und drei für internationale Kriminalromane.
Der Deutsche Krimipreis 2024 geht an:
NATIONAL:
1. Platz: Thomas Knüwer: »Das Haus in dem Gudelia stirbt« (Pendragon)
2. Platz: Matthias Wittekindt: »Hinterm Deich« (Kampa)
3. Platz: Karina Urbach: »Das Haus am Gordon Place« (Limes)
INTERNATIONAL:
1. Platz: Jake Lamar: »Das schwarze Chamäleon« (Edition Nautilus), deutsch von Robert Brack
2. Platz: Lavie Tidhar: »Maror« (Suhrkamp), deutsch von Conny Lösch
3. Platz: Lisa Cody: »Die Schnellimbissdetektivin« (Ariadne/Argument), deutsch von Iris Konopik.
Zu den Preisträgern im Einzelnen:
Thomas Knüwer: »Das Haus in dem Gudelia stirbt« – Eine Sturmflut sucht das kleine Dorf Unterlingen heim, Wassermassen drängen die Anwohner aus ihren Häusern – nur eine bleibt, so wie sie es schon immer getan hat: Gudelia. Sie blieb 1984, als ihr Sohn ermordet wurde, 1998, als sie sich von ihrem Mann trennte, und auch jetzt, als ihr Haus in den Fluten einzustürzen droht. Nicht einmal die beiden gefesselten Leichen, die an ihrem Fenster vorbeitreiben, können sie umstimmen. Denn Gudelias Gedanken gelten nur ihrem Haus, in dem sich ihr dunkelstes Geheimnis verbirgt.
Jurymitglied Tobias Gohlis bei »Deutschlandfunk Kultur« zu dem Roman: »Thomas Knüwers Debütroman ist ein Hammer. Gewieft wie ein alter, erfahrener Autor navigiert Knüwer zwischen drei Erzählebenen, den Jahren 1984, 1998 und heute, geschickt baut er weite Spannungsbögen auf. Seine Hauptfigur und Ich-Erzählerin ist Gudelia Krol. Sie gehorcht nur ihrem eigenen Kompass, handelt gänzlich anders, als von ihr erwartet wird. Und das nicht nur im Alter, sondern auch schon vierzig Jahre zuvor, als ihr über alles geliebter Sohn Nico erschlagen in einem Straßengraben lag. Für mich gehört diese Gudelia in die Reihe der großen widerspenstigen Alten Damen der Weltliteratur (…).«
Matthias Wittekindt: »Hinterm Deich« – Der neunzehnjährige Manz verbringt sein Polizeipraktikum in der Dienststelle des gottverlassenen Dörfchens Sandesiel an der Nordseeküste. (…) Als es auf einer Landstraße zu einem schweren Verkehrsunfall mit zwei Toten kommt, schickt Manz’ Bärenführer Rönne ihn los, die Bewohner der umliegenden Höfe zu befragen. Gerüchte über die Unfallstelle werden Manz zugetragen: Bauer Eggert (…) sei dort verprügelt worden, weil er seine drei Töchter missbraucht. Und auch von dem Verdacht, dass mehrere Todesfälle der vergangenen Monate auf den Einsatz giftiger Pestizide zurückzuführen sind, erfährt Manz. Dann hat er noch so ein Gefühl: Stimmt etwas nicht mit dem roten Lack des Unfallfahrzeugs? Welcher Spur lohnt es sich nachzugehen? Mit vierundsiebzig denkt Manz an seinen ersten echten Einsatz zurück, bei dem er noch viel zu lernen hatte – und das nicht nur als Polizist …
Jurymitglied Joachim Feldmann im »CrimeMag« dazu: „Bemerkenswert ist (…) die Virtuosität, mit der Matthias Wittekindt, studierter Architekt, Dramatiker und Verfasser eines guten Dutzends hochgelobter Kriminalromane, die Erzähltechniken anwendet. Womit noch nichts zu der Art und Weise gesagt ist, wie er seine Dialoge konstruiert. Denn Figuren so reden zu lassen, dass es alltäglich und außergewöhnlich zugleich klingt, zeugt von großem Können. Aber mit narrativer Kunstfertigkeit allein ist es nicht getan. Wittekindt versteht sich auf vielschichtige Plots, weit entfernt von der genreüblichen Frage nach dem ›Wer-war-es?‹. Zumal diese nicht immer eindeutig zu beantworten ist.«
Karina Urbach: »Das Haus am Gordon Place« – Wien, 1948: Daphne Parson, eine britische MI6-Agentin, arbeitet in einem Abhörtunnel unterhalb der geteilten Stadt. Um unbemerkt in den sowjetischen Sektor Wiens zu gelangen, schließt sie sich einer Filmcrew an. Eine Mission, die tödliche Konsequenzen hat. London, 2024: Der Historiker Professor Hunt lebt in Daphne Parsons ehemaliger Wohnung am Gordon Place. Als hier ein Mord geschieht, beginnt für Hunt eine verstörende Reise in die Vergangenheit. Ein verwobenes Spiel auf mehreren Zeitebenen, basierend auf wahren Begebenheiten.
Jurymitglied Ulrich Noller im WDR: »Geschichten über Spione sind wieder gefragt; kein Wunder, angesichts der geopolitischen Verhältnisse. Was neu ist: Kreative Frauen haben die einstige Männerdomäne nicht bloß erobert, sondern komplett neu aufgestellt. Karina Urbach, im Hauptberuf Historikerin, ist mit ihrem Roman ›Das Haus am Gordon Place‹ ein hervorragendes Beispiel dafür: Eine Story, die mal mehr, mal weniger Bekanntes ganz neu erzählt, dramaturgisch ausgesprochen einfallsreich gedacht und umgesetzt, mit einem so erstaunlichen wie überraschenden Blick für Details, transportiert über ein ganzes Ensemble spannender, vielseitiger Charaktere – und voller Erzählfreude umgesetzt. Exzellent.«
Jake Lamar: »Das schwarze Chamäleon« – In einer Februarnacht im Jahr 1992 wird Clay Robinette, in Ungnade gefallener Reporter, inzwischen jedoch Dozent für »Creative Non-Fiction«, vom Klingeln seines Telefons geweckt. Der panische Anrufer ist sein Professorenkollege Reggie Brogus, ein berüchtigter ehemaliger Black Panther, der sich nach einem mysteriösen siebenjährigen Exil in einen rechtskonservativen Eiferer verwandelt hat. In Reggies Büro auf dem Campus liegt die Leiche einer weißen Frau, und er ist überzeugt, dass sie vom FBI dort platziert wurde, um ihn endgültig aus dem Weg zu schaffen.
Clays alter Reporterinstinkt wird geweckt, er lässt sich in der eisigen Winternacht an die Uni locken. In Reggies Büro trifft ihn fast der Schlag: Er erkennt das Opfer, es ist die Studentin Jennifer Wolfshiem, mit der er bis vor kurzem eine Affäre hatte. Clay weiß, dass er den Mörder entlarven muss, bevor er selbst zum Hauptverdächtigen wird …
Kirsten Reimers, Jurymitglied und Organisatorin des Deutschen Krimipreis, im »Freitag« dazu: »Der Roman ist nicht nur eine Gesellschaftssatire, sondern auch ein beißender Campus-Roman, der insbesondere die Eitelkeiten und Konkurrenzkämpfe des universitären Mittelbaus sowie eine aufgesetzte und Fassade bleibende ›political correctness‹ der Studentenschaft pointiert und äußerst amüsant aufs Korn nimmt. (…) ›Das schwarze Chamäleon‹ mag von 2001 sein, der Roman hat jedoch bis heute nichts an Aktualität und Brisanz verloren, greift er doch Themen von ›race‹ und ›class‹ so klug wie klarsichtig auf, um bürgerliche Scheinheiligkeit und Saturiertheit mit spitzem Witz zu entlarven.«
Lavie Tidhar: »Maror« – Israel, 1974–2008. Zwei Polizisten führen uns durch fast vier Jahrzehnte israelischer Geschichte. Cohen, der Strippenzieher im Hintergrund, und Avi Sagi, der den korrumpierenden Versuchungen seines Jobs nicht widerstehen kann. Diese Geschichte ist die dunkle Geschichte Israels. Der Patriot Cohen kennt nur eine Aufgabe – seinen Staat zu beschützen, auch wenn er dafür die bittersten Realitäten akzeptieren muss und gnadenlos danach handelt. Cohen und Sagi haben es mit jüdischen, arabischen und türkischen Gangstern, mit der CIA und dem KGB, mit den Contras und den Kartellen, mit militanten Orthodoxen und anderen Playern mehr zu tun. Cohen versucht, »die Dinge in der Balance zu halten«, und kennt dabei keine Grenzen.
Jurymitglied Sonja Hartl im WDR: »Tidhars Erzählung folgt ausschließlich der knallharten Logik von Gier, Korruption und Macht. Es geht nicht um Ideologie, sondern um Kontrolle. In ›Maror‹ ist Israel ein Staat wie jeder andere – ein Staat, in dem Armeeangehörige unantastbar sind, Politiker, Polizisten und das organisierte Verbrechen zusammenarbeiten. In jeder Generation werden die Hoffnungen junger Menschen auf Frieden und Normalität aufs Neue zerstört. ›Maror‹ übt brachiale und provokative Kritik am israelischen Staatsapparat, ist aber niemals moralisierend, sondern mit viel Tempo und Härte erzählt.«
Liza Cody: »Die Schnellimbissdetektivin« – Hannah Abram war bei der Metropolitan Police – bis sie ihren Sergeant in den Kanal warf. Jetzt ackert sie in Digbys ranziger Imbissbude und hat Wut im Bauch. Die Fälle der Schnellimbissdetektivin sind läppisch: Wo treibt sich mein Kerl rum, wer klaut meine Kartoffeln, wo ist mein Hund, wer kippt mir Müll vor die Tür? Dann hat Hannah plötzlich eine Stalkerin am Hals. Nervig, aber im Grunde harmlos – oder doch nicht?
Jurymitglied Sylvia Staude in der »Frankfurter Rundschau«: »Rassismus, Sexismus, das prekäre Leben derjenigen, die nur einen schlecht bezahlten Job ergattern, wenn schon ein paar Krankentage bedeuten können, dass man die Miete nicht mehr zahlen kann – alles steckt irgendwie drin in der ›Schnellimbissdetektivin‹. Doch nie belehrend, nie entsteht der Eindruck, Cody habe um der Diversität willen noch diesen oder jenen Charakter eingefügt. Man hat sie vor Augen, diese Menschen, inklusive des stinkstiefeligen Imbissbudenbesitzers. Und man glaubt, sie hören zu können, so meisterhaft sind die Dialoge und schnattert mit Selbstironie die Ich-Erzählerin.«
Hier die Jurymitglieder: Volker Albers (Hamburger Krimifestival) /Claudia Denker (Buchhandlung Chatwins, Berlin) / Monika Dobler (Krimibuchhandlung glatteis, München) / Christiane Dreiling (Buchladen Neusser Straße einzigundartig, Köln) / Joachim Feldmann (Kritiker) / Tobias Gohlis (Krimi-Kolumnist DIE ZEIT) / Günther Grosser (Kritiker) / Sonja Hartl (Kritikerin) / Cornelia Hüppe (Krimibuchhandlung Miss Marple, Berlin) / Reinhard Jahn (Bochumer Krimi Archiv) / Christian Koch (Krimibuchhandlung Hammett, Berlin) / Alf Mayer (Kritiker Culturmag.de, Strandgut) / Torsten Meinicke (Buchladen in der Osterstraße, Hamburg) / Ulrich Noller (Kulturjournalist) / Michaela Pelz (krimi-forum.de) / Thomas Przybilka (BoKAS) / Kirsten Reimers (Kritikerin) / Robert Schekulin (Kritiker, Buchhändler) / Jan Christian Schmidt (kaliber38.de) / Joachim Schneider-Sacotte (Kritiker) / Sylvia Staude (Frankfurter Rundschau) / Jutta Wilkesmann (Krimibuchhandlung Die Wendeltreppe, Frankfurt) / Thomas Wörtche (Kritiker). Die Jurymitglieder stimmen nicht für Titel, an deren Veröffentlichung sie aktiv beteiligt sind.