Gleich zweimal kommt sie als Motiv in der Ausstellung »Foam Talent 2024« der Deutschen Börse Photography Foundation vor. Haben junge Fotograf*innen mit ihr ein universell gültiges Symbol gefunden – ganz unabhängig von ihrer Herkunft? Eine bitterscharfe Entgegnung auf die männlich konnotierte Dualität der Frauenbilder von Madonna oder Hure? Eine schießende Madonna-Mutter ist ja so etwas wie ein Grundverrat an diesem Frauenmuster.
Cansu Yildiran aus der Türkei und Marisol Mendez aus Bolivien verblüffen gerne die Augen. Sie gehören zu den 19 der aus 13 Ländern ausgewählten jungen Künstler*innen, denen Foam Amsterdam jetzt eine Plattform bietet und in The Cube in Eschborn gezeigt werden. Als schlagendes Herz der Avantgarde bezeichnet Kurator Aya Musa deren Werke, die aus 5.000 eingereichten Projekten ausgesucht wurden. Aber es ist auch – durch globalisierte Krisen verursacht – gewissermaßen heimatlos. Die Topoi, die Techniken, die künstlerische Handschrift umkreisen Verlust, Identität, Religion, Empathie, Herkunft, Liebe. Und die ewige Suche danach, irgendwo dazuzugehören. Will man einen roten Faden sehen, dann ist dieser eindeutig: Die Künstler*innen ordnen Autobiografisches in gesellschaftliche Koordinaten ein, Festgefügtes hat nicht länger Bestand. Und wenn es nicht länger Bestand hat, muss man es festhalten und beschreiben – und das Neue auch im Brüchigen suchen.
Die Madonna mit dem Gewehr also. Diese Porträts beschäftigen sich auf unterschiedliche Weise mit den traditionellen Rollenbildern ihrer Herkunftsländer. Cansu Yildiran macht in »The Dispossessed« das sehr drastisch klar. Sie hat ein Foto ihrer Tante aus Karadeniz überlebensgroß als Fototapete gezogen, die auf dem schön bestickten Familiensofa im Wohnzimmer sitzt. Hinter ihr an der Wand breitet sich ein wahres Potpourri von Familienfotos aus. Auf keinem einzigen war eine Frau zu sehen. Sie dreht die Geschichte buchstäblich um: In ihrer Heimat, in der eine Frau nicht einmal das Recht hat, ein Haus zu besitzen oder ein Nutztier, holt sie sie in ihrer interaktiven Installation ans Licht: unter den aufklappbaren Männerporträts nämlich verbergen sich Frauenbilder, teilweise stark verfremdet, und eine von ihnen präsentiert stolz lachend ihre Waffe. Cansu Yildiran zeigt beides: Die Tradition – und die Transformation.
Marisol Mendez hat zwei Serien geschaffen, die eine hat sie »Padre« genannt, die andere »Madre«. Sie spürt darin den gesellschaftlichen Rollenkonstruktionen nach und dem Einfluss der Religiosität, sucht aber auch die eigene Familiengeschichte. Ein historisches Foto ist während des Chaco-Krieges aufgenommen, in dem ein Großonkel gekämpft hatte. Die schöne Madonna mit dem Gewehr hier ist indianisch, nicht weiß, trägt ein zart besticktes weißes Kleid, einen Schleier und einen Kranz aus gelben Chrysanthemen wie eine Krone im Haar.
Selbstvergewisserung ist auch das Thema, von dem die Marokkanerin MAryam Touzani erzählt. In der dritten Generation lebt ihre Familie in den Niederlanden, und immer stärker berührt sie selbst die Frage nach ihrer eigenen Herkunft, nach ihrer doppelten Identität. Wohin gehöre ich eigentlich? Über eine ganze Wand sind ihre Fotos verteilt, verfremdete Fragmente ihres Lebens, eine Moschee in Rotterdam, eine Schlucht in den roten Bergen ihrer Heimat, eine Landkarte, Kinder.
Um Brüchigkeit von Geschlechteridentitäten geht es Ricardo Nagaoka mit seiner Schwarz-Weiß-Serie »Autobiographies«, die junge Männer in scheinbar unbeobachteten Momenten zeigt, wie sie sich selbst inszenieren, sehr fragil, fast poetisch. Aber es offenbaren sich auch Verunsicherung und Zweifel bei der Ausübung/Darlegung von männlichen Positionen.
Mit einer Kamera kann man auch festhalten, versichern, wertschätzen: dies tut die Dokumentarfotografin Rehab Eldalil mit in ihrem Langzeitprojekt »The Longing of the Stranger Whose Path Has Been Broken«, in dem sie über ein Jahrzehnt hinweg tief in die Geschichte und den Alltag einer Beduinen-Familie im Süden des Sinai in Ägypten eintauchte und wunderbar verfremdete Porträts, Pflanzen- und Landschaftsaufnahmen zu einem starken, sprechenden Bilderpatchwork zusammensetzte.
Eine Geschichte auf eine nachvollziehbare Weise zu erzählen, ist das Anliegen von Xin Li nicht – sein Kunstwerk entstand während der Corona-Epidemie in China. Er stammt aus Shanghai und hatte einen zweieinhalb Jahre währenden Lockdown zu ertragen. Sein »Magic Wand Tool« aus dem Jahr 2022 ist mit Sicherheit das rätselhafteste Werk in dieser Ausstellung. Die Oberfläche ist bunt, schillernd, aus Farbflächen, Strukturen, Porträts, Landschaften zu einem verwirrenden Mosaik zusammengesetzt, das er mit dem Photoshop Werkzeug »Magic Wand/Zauberstab« bearbeitete. Sein Material sind unzählige Fotografien, die er übereinander lagerte und sie auf diese Weise verfremdete und weiterentwickelte. Der Effekt ist atemberaubend und chaotisch, auffordernd, selbst auf Spurensuche zu gehen. Die ganz persönliche Kritik des Künstlers an der Unterdrückung von Informationen während der Pandemie.
Die Deutsche Börse Photography Foundation zeigt junge internationale Fotografie
