Es war ein Paukenschlag, damals. Ein Erfolg war es auch. Es verkaufte sich sieben Millionen Mal. Dabei hat die junge Amerikanerin Erica Jong die Sexualität von Frauen wahrlich nicht erfinden müssen. Aber nie zuvor hatte eine Frau so offen über ihre sexuellen Phantasien (und Praktiken) geschrieben. Sogar John Updike meinte damals, das Buch habe »eine neue Qualität in die Prosa der Frauen gebracht«. Und ihre Beobachtung, dass, von Frankreich ganz zu schweigen, die deutschen Toiletten das Ergebnis der Mühen ihrer Benutzer erst einmal zur Ansicht präsentieren, bevor sie weggespült werden, das sorgte damals für zusätzliche Erregung. Das Buch war 1973, trotz allem, auch ein literarisches Ereignis. Und dann wurde es (fast) vergessen.
Jetzt, fünfzig Jahre später frage ich mich, ob dieses Buch nicht doch ein bisschen altbacken wirkt, wie ein Opel Rekord, neu lackiert. Um die Antwort vorwegzunehmen: ganz im Gegenteil! Das Buch liest sich, als sei es gerade geschrieben worden. Frisch, plausibel, gegenwärtig. Selbst die Psychoanalyse, die damals auch eine Modererscheinung war, scheint immer noch akzeptabel.
Isadora Wing reist, trotz enormer Flugangst, mit ihrem zweiten Ehemann, einem Psychoanalytiker, zu einem Kongress nach Wien. Einhundertsiebzehn Kollegen ihres Mannes sind mit an Bord. Einige davon kennt sie, aus eigener Erfahrung, von der Couch her. Schon als Mädchen wurde sie nämlich zum Analytiker geschickt. Philip Roth hatte mit »Portnoys Beschwerden« diesem Trend ein hübsches Denkmal gesetzt. Mit Woody Allens »Stadtneurotiker« fand er eindrucksvolle Bilder. Und Erica Jong setzt noch eins drauf.
Jetzt, Anfang dreißig, sieht ihre Heldin, durch die ihre Autorin zuweilen sehr kräftig durchscheint, etwas klarer: »Sie«, die Analytiker, »handelten so unbeirrbar im eigenen Interesse wie die Sozialdarwinisten des Viktorianischen Zeitalters.« Noch als junge Studentin hatte Isadora den Analytiker Bennett geheiratet. Als sie drei Jahre in Heidelberg lebten, er arbeitete bei der US-Army, setzte sie ihre Versuche als Lyrikerin fort. Sie schrieb auch Kolumnen für eine Zeitung. In ihrer Ehe war sie unzufrieden, obwohl sie »Bennetts umsichtige, zwanghafte und langweilige Beständigkeit schätzt«. Weil sie sich »aus seiner Welt ausgeschlossen« fühlt, kann sie sich »alle erdenklichen Welten« in ihrem Kopf eröffnen.
Früh schon fand sie in der Literatur den Zugang zu einer anderen Welt, jenseits der Pickelgesichter ihrer sechzehnjährigen Altersgenossen.
Ihre Vorbilder sind Simone de Beauvoir, Doris Lessing, Virginia Woolf. Sie kennt sich bald aus bei den Frauen, die in der Literatur eine Rolle spielen. Doch sie empfindet sie oft als »verzagt, verkümmert, verstört. Scheu im Leben, mutig nur in ihrer Kunst«.
Und natürlich geht auch »die Suche nach dem unmöglichen Mann« munter weiter. Isadora hat ein hochproblematisches Verhältnis zu ihrer exaltierten Mutter. Sie macht ihr Vorwürfe, dass »ich nicht frei bin, nicht unabhängig, ja dass ich überhaupt keine Identität habe«. Von der Mutter lernt sie nur, »Frau zu sein, bedeutete, gestresst, frustriert und immerzu wütend zu sein«.
Während des Kongresses in Wien lernt sie den Kollegen ihres Mannes Adrian Goodlove (!) kennen. Er scheint ihre Phantasie vom »Spontanfick« zu erfüllen. Adrian denkt nicht darüber nach, »was wir morgen tun würden«. Hals über Kopf verliebt sie sich und verlässt Bennett. Die beiden reisen quer durch Europa. »Wir fuhren hin und her zwischen einer Depression und der nächsten, kreuz und quer von Trinkgelage zu Trinkgelage.« Doch oft fragt sie sich, ob »an all seinen fragwürdigen Charakterzügen irgendetwas liebenswert und an seinem Wahnsinn irgendetwas einnehmend Attraktives zu finden« sei. Die Entscheidung für Adrian macht ihr einerseits Angst, wohin die Reise geht, andrerseits ist sie euphorisch »nicht zu wissen, wohin das Leben sie brachte«. Je länger die Reise dauert, umso mehr wird ihr die Sinnlosigkeit bewusst. »Der Mann, als der er sich nun entpuppte, war eine Enttäuschung.« Klar wurde ihr auch, »ich würde über ihn schreiben, über ihn reden, mich an ihn erinnern, aber er würde mir nie gehören«. Am Ende des Buches, Adrian und sie haben sich getrennt, hat sie gelernt, mit ihren vielen Defiziten umzugehen. Ihrem Gewicht, das ein Beweis für ihre Schwäche, Faulheit und Zügellosigkeit ist, ihrer Angst, ohne Mann nicht vollständig zu sein. Sie hat aber auch gelernt, »selbst das Steuer in die Hand zu nehmen«, sich von den Männern nicht unterdrücken zu lassen. Frei zu sein.
»Klug, kühn, mutig und am wichtigsten, sehr lustig« empfand man damals dieses Buch. Jongs Heldin, gebildet und auch theoretisch informiert, und wie Woody Allen oder Philip Roth mit jenem jüdischen Witz ausgestattet, der uns fremd geworden war, schlug wie eine Bombe ein. Lust, Begierden, so offen ausgestellt, befremdete zugleich. Nach dem Knall aber kam das Schweigen. Das Buch wurde fast vergessen.
Vielleicht auch, weil das Ende sehr versöhnlich stimmt. Isadora kann Bennetts Hotel in London ausfindig machen. Er ist nicht da, sie legt sich erst einmal in die Badewanne und spürt wohlig, dass etwas fehlt. Ihre Angst ist verschwunden. Und plötzlich »kam Bennett durch die Tür.«