Schon der erste Eindruck ist überwältigend. In dem abgedunkelten Raum erwarten die Eintretenden filmische Kostbarkeiten, die auf große Bildwände projiziert werden. Keine hektischen Kamerabewegungen, die der deutsche Ausstellungstitel befürchten lässt. Der englische Untertitel trifft die Schau um einiges besser: »Long Takes, One Shuts, No Cuts«. In ihr erfreuen lange, gleitende Einstellungen das Auge, das sich von seiner alltäglichen Suche nach visuellen Reizen im Kino erholen darf, was schon der große Carl Theodor Dreyer bemerkt hat.
An den von mir bewunderten dänischen Regisseur hätte ich beim Thema Plansequenzen nicht unbedingt gedacht. Umso mehr spricht es für den Kurator Michael Kinzer, der bei seiner Auswahl der Filmausschnitte ein kundiges Händchen bewiesen hat. Denn er hat dafür gesorgt, dass viele große Beispiele aus der Filmgeschichte in der Ausstellung vertreten sind.
Die rund dreiminütige, atemberaubende Eingangssequenz von »The Touch of Evil«, mit dem Orson Welles sein Meisterwerk »Citizen Kane« (auch als tiefenscharfe Pioniertat vertreten) zu übertreffen versucht hat, darf natürlich nicht fehlen.
Diese Plansequenz soll Spannung erzeugen, beginnt sie doch damit, dass der Zeitzünder einer Bombe aktiviert wird, diese in den Kofferraum eines Cabriolets gelegt wird, und ein Paar mit dem Wagen über die mexikanisch-amerikanische Grenze fährt. Das Kinopublikum wird die Explosion jedoch nur hören.
Welles kitzelt also mithilfe seines Kameramannes Russell Metty den Voyeurismus der Zuschauer, die er am Ende enttäuscht und auf sich selbst zurückweist. In diesem Zusammenhang fällt einem sofort Alfred Hitchcock ein, etwa mit »Frenzy«. In »Rope« unternahm er zuvor den Versuch, einen ganzen Film in wenigen Einstellungen zu drehen, was allerdings zu einem eher etwas bemüht wirkenden Ergebnis führte.
Die Idee, eine Handlung in einer Einstellung, die natürlich, was Blende und Schärfe betraf, ständig angepasst werden musste, zusammenzufassen, wurde schon in Stummfilmen in die Tat umgesetzt. Dabei gab es für die Findigkeit der Kameraleute keine Grenzen. Gefilmt wurde von fahrenden Autos, Lokomotiven, Fahrrädern und allen möglichen beweglichen Objekten, bis es den Kamerawagen (Dolly) und später die Steadicam gab. Durch die moderne digitale Technik gelang es schließlich, One-Shot-Filme wie Alexander Sokurows »Russian Ark« und Sebastian Schippers »Victoria« zu realisieren.
Vor der digitalen Zeit war der Aufwand bei den großen Meistern der Filmgeschichte immens. Bei Max Ophüls mussten ganze Dekorationsteile entfernt werden, um die Schienen des Kamerawagens zu verlegen. Das Resultat: Seine Filme beeindrucken durch ihre schwerelose Eleganz.
Die Ausschnitte aus Friedrich Wilhelm Murnaus »Der letzte Mann« (Kamera: Karl Freund) zeigen, dass mit langen Einstellungen nicht nur Spannung, sondern auch eine witzige Situation und ein Gefühl der Einsamkeit erzeugt werden kann. Dagegen überwiegt in Fritz Langs »Metropolis« (Kamera: Freund, Günther Rittau und Walter Ruttmann) der monumentale Schauwert.
Es gäbe noch zahlreiche weitere Beispiele zu erwähnen. Vielfalt und Qualität dieser visuellen Höhepunkte sind überwältigend. Sie machen Lust, die kompletten Filme (wieder) zu sehen. Gelegenheit dazu bietet die parallel im Kino des Deutschen Filminstitut/Filmmuseums (DFF) angebotene Filmreihe.
Filmische Kostbarkeiten: Im DFF sind »Entfesselte Bilder« zu bewundern
