Während sich die politischen Parteien derzeit einen fragwürdigen Überbietungswettkampf liefern, wie man besten, effektivsten und nachhaltigsten Flüchtlinge und Migranten wieder los wird, sie am besten erst gar nicht »rein« lässt, als thronten wir in der Festung Mordor, hängt sich das Instituto Cervantes in der Staufenstraße ganz einfach die Wände voll mit den besten, teilweise auch prämierten Pressebildern zum Thema »Routen der Migration«.
Lächerlich findet denn auch der Generalkonsul Enrique Criado Navamuel diese Debatte angesichts der Tatsache, dass laut der internationalen Organisation für Migration 281 Millionen Menschen derzeit ihre Heimat verlassen, einer von 28 Menschen auf der Welt ein Migrant ist und deren Zahl dreimal höher liegt als im Jahr 1970. Die Menschen suchen Schutz, Essen, Wärme, ein Entfliehen der Armut, der politischen Repression, dem Krieg, und wenn man in die eigene Familiengeschichte blickt, wird man oft eigene Urgroßeltern oder Großeltern finden, die genau dies auch gezwungen waren zu tun. Flüchtlinge übrigens machen nur einen kleinen Teil der Migranten aus, aber auch deren Zahl wächst kontinuierlich stark an. Globalisierung, Kriege und Klimawandel haben diese Prozesse beschleunigt, das weiß ein jeder, der es wissen will.
Die European Pressphoto Agency EPA, die nun im Instituto Cervantes ihre Fotos präsentiert, hat ihren Hauptsitz in Frankfurt, und etwa die Hälfte davon hält die spanische Presseagentur EFE. Sie ist also bestens präpariert, von den Routen der Migranten zu erzählen, auch von denen in Lateinamerika. Und das tut sie auf empathische prägnante Weise: Die Fotos verteidigen auf ihre eindringliche Art die Menschenrechte, das Recht auf Leben, üben sich in der Zeitzeugenschaft dieses oft mörderisch gefährlichen Transits. Sie liefern einen so nötigen Gegenstandpunkt zur herrschenden Debattenkultur.
Die Migrationsrouten entpuppen sich auf diesen Bildern sehr häufig als bitterer Ort, an dem Träume zerschellen. Und dass man Menschen nicht auf Zahlen reduzieren kann, das sieht man hier. Man schaut ihnen direkt ins Gesicht: dem Jungen, der aus einem Bullauge heraus seine Hand zum Victory-Zeichen formt, aufgenommen in Catania, Sizilien. Die Freude, in einem Schlauchboot zu sitzen, das einen ans rettende Ufer bringt. Oder die Verzweiflung eines weinenden Vaters, der von seinem Sohn mit einem Brot getröstet wird. Die drei Holzplankenkreuze, gebaut aus Schiffswracks am Strand von Steccato di Cutri in der Provinz Crotone, die auf den Untergang eines simplen Fischerboots hinweisen, das mit 178 Personen besetzt aus der Türkei gestartet war und zur Todesfalle wurde: 94 starben, darunter 34 Kinder. Oder den Mut einer Frau, an einem dünnen Seil einen Fluss in Dairén zu überqueren, der hochgefährlichen Route in Kolumbien. Es sind diese Schicksale, dieser Kampfesmut, dieser Überlebenswillen angesichts oft verzweifelnder Lebensumstände, die einem ins Bewusstsein kommen sollten, und ja: sie machen auch deutlich, wie glücklich man sich selbst schätzen kann, vermutlich nie in eine solche Situation kommen zu müssen, ganz ohne eigenes Verdienst.
Von niemandem der auf den Pressefotos Porträtieren weiß man übrigens, ob sie die Flucht überlebt haben oder nicht.