Für die »Wälder« im Deutschen Romantik-Museum bitte viel Zeit mitbringen

Romantischer geht es doch gar nicht, möchte man mit Bildern und Texten von Waldeslust und Waldeinsamkeit im Deutschen Romantik-Museum vor Augen meinen. Und ahnt doch kaum, dass die Blüte der ach so romantischen Waldsichtung und -dichtung vor gut 200 Jahren aus einer herben Verlusterfahrung rührt; dem miserablen Zustand der ratzeputz niedergeholzten deutschen Wälder. Der Dichter der blauen Blume selbst konstatierte um 1800 die Dringlichkeit von alternativen Energiequellen. Er tat das allerdings nicht als Novalis, sondern als Assessor Friedrich von Hardenberg im Dienst der Kursächsischen Salinendirektion. Sein handschriftlicher Report steht im Besitz des Deutschen Hochstifts und kann jetzt in einer Vitrine im zugehörigen Deutschen Romantik-Museum eingesehen werden, wo er zu den besonderen Exponaten eines aus fünf Komplexen bestehenden Parcours gehört, der das neue Verständnis der Natur in der Romantik mit seinen bis in unsere Gegenwart reichenden Auswirkungen thematisiert. Künstlerisch, aber auch wissenschaftlich. Mit spezifischem Zugriff, nach Art des Hauses also, trägt das Romantik-Museum damit zu der Großschau »Wälder. Von der Romantik in die Zukunft« in drei sehr unterschiedlichen Museen der Region bei. Transdisziplinär, wie es hier heißt, mit jeweiligem Schwerpunkt nehmen sich auch das Senckenberg Naturmuseum und das Bad Homburger Museum Sinclair-Haus des gemeinsamen Themas an. Über letzteres haben wir im April-Strandgut berichtet, die Ausstellung im Senckenberg besprechen wir im Juni.
Noch bevor wir im Basement des Mäckler-Baus am Großen Hirschgraben in die Gänge kommen, hüllt uns fast unmerklich eine Geräuschkulisse ein. Mal rauscht der Wind durch Blätter und Zweige, mal ächzen Stämme wogender Bäume, mal trommelt der Regen auf den Waldboden wie auf ein Drum-Fell. Da passt es, dass unsere Tour mit Friedrich Schellings Naturphilosophie eröffnet, die den Menschen als ein in die Natur eingelassenes Wesen begreift und Natur nicht mehr als ein ihm gegenübergestelltes Objekt. Den Geist der Aufklärung konterkarierend formuliert der Philosoph mit dem geistigen Fundament der Romantik auch Gedanken, die heutiger nicht sein könnten. Seinem 1797 erschienenen Hauptwerk wird, als wär‘s ein Schleifchen drum, von einer Skizze Karoline von Günderrodes akkompagniert, die Intuition, Instinkt und Sentiment als ihre Denkwerkzeuge benennt.
»Der Wald als Ganzes« titelt programmatisch die erste Station des Rundgangs, die versucht, Positionen der verschiedensten künstlerischen Genres miteinander in Beziehung zu setzen. Dazu gehören Achim von Arnims Gedicht »Waldgeschrey« mit der quasi sprechenden Zeile »Im Walde, im Walde, da schrei ich mich aus«, Robert Schumanns Komposition »Waldszenen« oder auch der eine Spessart-Erzählung illustrierende Kupferstich von Eugen Napoleon Neureuther. Exponiert finden wir hier auch das Waldhorn als genuin romantisches Instrument zu dem gleich dreifach präsentierten »Jägerabschied«: geschrieben von Joseph von Eichendorff, vertont von Felix Mendelssohn Bartholdy und radiert von Johann Wilhelm Schirmer. Eingeladen sind wir zudem, auf einem gepolsterten Hügel mit Kopfhörern unter einer baumgrünen Soundglocke Platz zu nehmen, um via Ohr, Auge und Gesäß Romantik pur zu erleben: wohlbekannte Gedichtzeilen (»Über allen Wipfeln«) zu perlendem Klavierspiel auf zauberhafte Waldlandschaften projiziert. Nur das Aufstehen fällt schwer.
Wie ein thematischer Wachrüttler folgt die Station »Waldumbau«, die den romantischen Wald der Künste mit dem der sich zeitgleich etablierenden Forstwirtschaft konfrontiert. Hier wird die eingangs erwähnte Novalis-Recherche gezeigt, als eigentlicher Mentor aber entpuppt sich der Begründer der wissenschaftlichen Forstwirtschaft Heinrich Cotta, auf den die hier vorgestellten Maße des »Normalbaums« zurückgehen. Ein aus dem Taunus entnommener Bohrkern spiegelt den historischen Übergang von der Eiche zur Fichte wieder. Während wohl die wenigsten wissen, dass das Gerät zum Messen der Baumdicke Kluppe heißt, ist der Wolf in aller Munde, wenn auch nicht als Opfer der Forstwirtschaft. Kein Dorfmuseum, das nicht den angeblich Letzten seiner Art als verlaustes Präparat im Fundus hätte. Das prächtige Exemplar hier kommt aus dem Museum Wiesbaden und ist gewiss kein Letzter.
Auf der dritten Etappe »Waldumbau II« stellt sich der Borkenkäfer vor. Der sich an totem und todgeweihtem Holz verlustierende Beißer, nolens volens zum Hauptfeind des Waldes erklärt, ist in Wirklichkeit ein gottgesandter Mahner für die gebotene Umwandung monokultureller Baumbestände in widerständigen Mischwald. Dass der tote Wald, wenn man ihn lässt, einfach weiterlebt demonstrieren die Künstlerinnen Anne Duk Hee Jordan und Pauline Doutreluingne mit einem auf Gotland (Schweden) entstandenen Video »Brakfesten/La Grand Bouffe«, ein großes Fressen im künstlerisch, aber auch szientifisch aufbereiteten toten Ulmenholz. Ganz nach dem großen Dragoslav Stepanovic: »Lebbe geht weiter«.
Unter dem Titel »Der Wald von Nahem« kommen Moos, Flechten und Pilze unter die Lupe. Ein auch ästhetisches Faszinosum schon für Goethe dank seines schon 70-fach vergrößernden Mikroskops. Die so genannte Kryptogamen-Forschung lässt auch den lokalen Raum nicht aus, wie die 1828 veröffentlichte Frankfurt-Flora von Johannes Becker zeigt, mit etlichen längst hier nicht mehr vorkommenden Pflanzen. Auch Malerei und Dichtung – nicht nur Goethes –nehmen den Mikrokosmos des Waldes ins Visier.
Mit der ungewöhnlichen, aber doch schnell einleuchtenden Perspektive auf die Naturrechte schließt der Parcours, geht es hier doch darum, die Natur als Subjekt zu respektieren. Eine mit Zitaten belegte Fürsprache, in der sich (erneut) Gegenwart – in Ecuador mit Verfassungsrang – und Vergangenheit verbinden. Die Dringlichkeit dieses Anliegens sollte die verblüffende Installation des italienischen Ökoakustikforschers David Monacchi deutlich machen, die mit einer Vielzahl von Supermikros die strukturierte Kommunikation sämtlicher Lebewesen in einem Abschnitt des Primärwaldes von Borneo bezeugt. Viel, viel Zeit sollte man sich lassen und am besten mehrmals kommen.

Lorenz Gatt / Foto: Ausstellungsansicht, © Alexander Paul Englert
Bis 11. August: Mo.–So, 10–18 Uhr; Do., 10–20 Uhr
www.deutsches-romantik-museum.de

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