Ich wünschte, die Welt wäre eine gerechtere – Das Museum Wiesbaden zeigt HAP Grieshaber

Es ist alles so einfach. Ein Künstler denkt politisch links, engagiert sich gegen Unterdrückung, gegen Diktaturen, gegen die Verletzung der Menschenrechte, für die malträtierte Natur ebenso, verbindet in seiner Arbeit tief religiöse, christliche Motive und setzt seine humanistische Weltanschauung in seinen Bildern um. Seine Kunst wünscht er sich nicht exklusiv, sondern sie ist für alle da, er schneidet in Holz und Linoleum, er schnitzt Druckstöcke. Sie ist plakativ, seine Symbolsprache verständlich.
Die Kunst von HAP Grieshaber (1909–1981) ist vielleicht ein wenig aus dem Blickfeld des Kunstmarktes gerückt, das ändert aber nichts an ihrem Stellenwert, und schon gar nicht an ihrem ideellen Schatz und ihrer Bedeutung. Den Holz- und Linolschnitt definierte er als starkes eigenständiges – und nicht nur dekoratives – Medium, befreite es vom Ruch des Kunstgewerblichen, vergrößerte die Formate. Das Museum Wiesbaden widmet ihm jetzt im Grafensaal eine 70 Grafiken umfassende Ausstellung und verbindet sein Werk mit dem Heute, und das mit Fug und Recht, denn seinen Themen und Fragestellungen haben an Aktualität nichts eingebüßt.
Seine Lebenswelt rankt sich um das schrecklichste Ereignis des vergangenen Jahrhunderts, dem zweiten Weltkrieg. Nach seiner Lehre als Buchdrucker und Schriftsetzer arbeitete er als freischaffender Buchgrafiker und Illustrator, erhielt unter dem Nazi-Regime Berufsverbot, das zwar ausgesprochen, aber nicht verhängt wurde. Seine künstlerische Arbeit kann er folglich nicht mehr fortsetzen. In der Nachkriegszeit ist er in verschiedenen künstlerischen Gruppierungen aktiv, die Mäzenin und Galeristin Hanna Bekker vom Rath wird zu eine seiner wichtigsten Verbündeten.
Das Museum Wiesbaden verschränkt in einer einführenden Biografie persönliche Daten mit politischen, analog zu Grieshabers künstlerischem Wirken, welches seine Anregungen stets auch in der Politik fand und sie kommentierte wie beispielsweise in seinen Holzschnitten zum Militärputsch in Chile 1973. Die frühesten, stark stilisierten Exponate zeigen seine Verwurzelung in der ländlichen oberschwäbischen Heimat, wie z.B. ein Panorama von übereinander geschichteten Hausgiebeln, die mit raschen Schraffuren angedeutet werden, in einer vom Konstruktivismus inspirierten Form.
Obwohl Grieshaber nicht als streng gläubig galt, verankerte er dennoch die wichtigsten Glaubenssätze der Barmherzigkeit und des Mitgefühls in seinen Arbeiten, stellvertretend seine dafür Arbeiten zur die Marienkirche in Reutlingen (Christuspassion und die Flucht der Heiligen Familie), aber auch die Hinwendung zum Buddhismus.
Während seine Technik sich zu Beginn an der Formensprache mittelalterlichen Holzschnitten orientierte, erweiterte er sie später stilistisch unter den Einflüssen von Ernst Barlach und dem Expressionismus – eine farbensatte und symbolbehaftete, stark konturierte und formelhaft abstrahierte Welt, in der er frei umherwandert.
Künstlerische Zeugenschaft zum Zeitgeschehen abzulegen soll zu seinem wichtigsten Stützpfeiler und zu seiner Inspirationsquelle werden, kaum ein Ereignis bleibt unkommentiert: Die Hippiebewegung, Umweltschutz, politische Ereignisse und Wahlaufrufe, aber auch Bücherverbrennung und das Schicksal politischer Gefangener, es sind plakative Kommentare von zeitloser Aktualität. Besonders eindrucksvoll in seinem zwei Meter breiten Druck »Deutschland«, das ein wenig an Picassos »Guernica« erinnert.

Susanne Asal
Foto: HAP Grieshaber Gefesselte Taube, 1970 Privatsammlung, Foto: Museum Wiesbaden / Bernd Fickert © VG Bild-Kunst, Bonn 2023
Bis zum 21.1.2024: Di., Do., 11–19 Uhr; Mi., Fr., 11–17 Uhr; Sa., So., 11–18 Uhr
www.museum-wiesbaden.de

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