Dass die Götter bunt sind, diese Erkenntnis mündete in eine der schönsten und überraschendsten Ausstellungen, die das Liebieghaus dank seinem Kurator und Leiter der Antikenabteilung Vincenz Brinkmann und dessen Frau Brinkmann Koch aufbieten konnte. Jahrzehntelang war zur Statuenpolychromie geforscht worden, und hingerissen erlebte das Publikum seine eigene Abkehr von dem Glauben an die hehre weiße Farbe, in der die Skulpturen jahrtausendelang erschienen waren, und die den Statuen etwas Himmelfernes und zugleich abgelebt Antikes verlieh. Bunt wurden sie nahezu irdisch, frech und heutig. Und das Liebieghaus hatte damit seine einzigartige und fortdauernde Signatur erhalten.
Isa Genzken war von der damaligen Ausstellung begeistert. Jetzt gibt sie selbst mit 18 Exponaten dem Liebieghaus einen neuen Twist. Die antiken Inhalte werden einfach ins Heute transportiert, und das gelingt ihr verspielt, mutig, auch politisch pointiert, und vor allem: verblüffend. Das gesamte Liebieghaus ist ja sowieso ein einziger Schatz, aber die Exponate jetzt noch einmal mit den prüfenden und sichtenden Augen der multimedial arbeitenden Künstlerin zu betrachten, schärft auch die eigene Wahrnehmung. Der Kurator hat hier den Parcours durch das Museum gelegt, und an fast jeder Ecke wird man überrascht.
Folgerichtig ist da schon die erste Grenzüberschreitung ein kleiner Schock, aber ein sehr witziger. Im ersten Saal mit Kunstwerken aus dem Alten Ägypten erscheint Nofretete mit Sonnenbrille, einmal bemalt, einmal im strahlenden Gips-Weiß. Die Frage ist ganz einfach: Warum sollte die wunderschöne Nofretete, die zu ihrer Zeit garantiert eine Stil-Ikone war, nicht eine Sonnenbrille getragen haben, um sich vor dem starken ägyptischen Licht zu schützen und gleichzeitig eine vornehme Rätselhaftigkeit auszustrahlen, die Träger*innen von modisch überdimensionierten Sonnenbrillen ja stets für sich reklamieren dürfen? Jackie O. schaffte das, warum nicht auch Nofretete? Im Original fehlt ihr ein Auge, hier nicht, Isa Genzken lässt es durch die Sonnenbrille schimmern. Entstanden sind beide Gips-Skulpturen 2018.
In ein Gespräch vertieft scheinen die beiden Rekonstruktionen der bronzenen Krieger von Riace zu sein, die 1972 vor der kalabrischen Küste von einem Hobbytaucher in sieben Metern Tiefe gefunden worden waren. Sie sind beide anlässlich des »Liebieghaus Polychrome Research Project« entstanden. Isa Genzken hat ihnen eine heutige Lebendigkeit verliehen, indem sie die Augen mit Steinen ausgelegt, Brustwarzen und Lippen kupferfarben und die Zähne silbern ausgestattet hat. Die Haut hat sie mit mehreren Schichten von verdünntem Asphaltlack überzogen, die mit rotem Pigment eingefärbt wurden. Hinter diesem Ensemble lugt eine vorwitzige knallbunte Sphinx hervor, eine buntbemalte Persephone leistet ihnen Gesellschaft genau wie ein bestens präparierter Boxer, dessen himmelblaue Glasaugen fragend aus seinem versehrten kupferfarbenen Gesicht strahlen. Isa Genzken kann es einfach: Skulpturen mit Alltagsgegenständen auszustatten, zu verfremden, zu hinterfragen.
Eine ganz andere Form der Konfrontation geht sie mit ihrer 2016 entstandenen Installation aus Schaufensterpuppen (»Schauspieler«) ein. Die im Kreis aufgestellten Puppen befinden sich im großen Antikensaal und suchen keinerlei Verbindung zu den Skulpturen, aber auch nicht untereinander. Ihre übereinander gestülpten Kleidungsstücke bedecken ihre zur Schau gestellten Körper nicht, eine junge Frau trägt Slip zur Lederjacke und Blutspuren, ein junger Mann ist a la Andy Warhol kostümiert. Sie brechen provokativ und völlig selbstreferentiell ein in die gerade hergestellte Wahrnehmung des Mit-Einanders.
Es gibt zwei weitere Arbeiten der Künstlerin, die sich zwar nicht auf die Dauerausstellung beziehen aber in ihren Kontext platziert sind: »Untitled« von 2015, in dem sie sich mit moderner Hochhaus-Architektur auseinandersetzt: Ein hoch aufragendes Holzgerüst hat sie mit Mosaik-Spiegelfolie beklebt und in einen roten Kimono gehüllt. Aus demselben Jahr stammt ein weiteres Architektur-Ensemble »Untitled (4 Türme, 3 Stelen)«, das sie mit ihren üblichen Verfremdungseffekten ausgestattet hat, unter anderem klebt da auch ist ein Beipackzettel eines Medikaments.
Ein feines Rezept und zur Nutzung stark empfohlen: denn ihre ironischen, bitteren, witzigen, assoziativen Verfremdungen erzeugen nun mal frische Augen.
Isa Genzken meets Liebieghaus – und die Augen werden frisch
