Just Wiesbaden: Wenn »Das verrückte Wohnzimmer« (Vincent Lagasse) rebelliert

Man könnte sich schon ein wenig fragen, wieso Vincent Lagasses Zwei-Personen-Spiel »Das verrückte Wohnzimmer«, mit dem das Junge Staatstheater (Just) Wiesbaden die Spielzeit eröffnet, denn bitteschön ein Kinderstück ist. Altersgefährten, mit denen sie sich identifizieren könnten, findet die angepeilte Zielgruppe ab fünf Jahre jedenfalls keine. Und auch sein tragendes Thema Alterseinsamkeit gehört gewiss nicht zu ihren dringendsten.
Und doch ist es so, dass die etwas tüttelige alte Dame, die da vom Einkauf zurück in ihre kleine Wohnung kommt, von der ersten Sekunde an, alle Aufmerksamkeit auf sich zieht. Im grauen Mantel tritt sie in das wohlaufgeräumte Zimmer, da hängen Fotobilder mit vielen Erinnerungen an den Wänden, da blickt ein ausgestopfter Uhu von oben herab in den Raum, und ein Grammofon beginnt sanft zu spielen. Irgendwas kommt uns aber merkwürdig vor: Alles ist in Schwarz und Weiß und in der Mischung von beidem gehalten. Auch der Mantel der Frau sieht nach Salz & Pfeffer aus. Keine Farbe nirgendwo.
Kaum ist sie drin, schließt die Frau, die wir bald als Lucy kennenlernen, die Wohnungstür ab. Und zwar doppelt. »Immer zweimal! Sicher ist sicher« sagt sie und wendet sich dabei dem Bild mit einem Hut-Mann zu: »Nicht wahr, Georg?«. Die alte Frau lebt allein, Georg ist ihr verstorbener Mann und einziger Gesprächspartner. Einen Tee will sie sich machen, aber dazu kommt es nicht, weil es an der Wohnungstür klingelt. Monsieur Anatol, ihr neuer Nachbar, will sich vorstellen, was Madame Lucie nun gar nicht passt. Mit Fremden, auch das hat ihr Georg immer gesagt, soll man sich schließlich nie einlassen.
Weil Monsieur Anatol aber nicht lockerlässt, lässt sie sich von dem jungen Mann in gelben Hosen mit grünem Schnauzer ein rosafarbenes Visitenkärtchen geben. Und noch bevor sich der Nachbar wieder meldet, fängt die kleine Wohnung von Madame Lucie an, sich in ihr Leben einzumischen. Da gehen Schubladen auf und Lichter an, da kreisen Blumen wie Derwische in der Vase und werfen drehende Kleiderhaken die aufgehängten Sachen ab, da taucht die Handtasche, eben noch in der Küchenschublade, plötzlich im Wohnzimmerschrank auf, und der Besen in der Kommode und die Zuckerdose allüberall. Schrillende Telefonarme fordern aus allen Richtungen zum Abheben auf und aus der Schublade tobt ein Konfettisturm ins Zimmer. Zur großen Freude aller, spielt das ganze Wohnzimmer verrückt, als gelte es, Madame Lucie mit allen Mitteln zum Leben zu erwecken.
Erfolgreich, denn am Ende, soviel sei verraten, kommt der immer höfliche Monsieur Anatol (Merlin Brown) dann doch zu Besuch und wagt inmitten ihres nun wie eine blühende Blumenwiese leuchtenden Zimmers sogar ein Tänzchen mit Madame Lucie (herzig und einnehmend: Elke Opitz). Selbst Georg der sich lächelnd im Bild verbeugt, zieht den Hut und ist einverstanden. Ganze Arbeit hat da mit dem Regisseur Dirk Schirdewahn die Bühne von Nina Wronka geleistet. Mag sein, dass der eine und die andere im jungen wie im älteren Publikum dann auch ein wenig an die Oma denkt oder die alte Nachbarin im Haus. Dass man seine Umwelt nicht immer nur argwöhnisch und misstrauisch betrachten soll, nehmen Groß und Klein gemeinsam mit nach Hause.

Winnie Geipert/ Foto: © Christine Tritschler
Termine: 17., 18., 24. Oktober, jeweils 10 Uhr; 18., 26. Oktober, jeweils 19.30 Uhr
www.staatstheater-wiesbaden.de

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