»Maschinenraum der Götter – wie unsere Zukunft erfunden wurde« im Liebieghaus

Wer kam bloß auf die geniale Idee, die neueste Ausstellung des Liebieghauses »Maschinenraum der Götter«, in dem es um Sternenbeobachtung in der Antike geht und um die Erfindung des Kinos im Altertum, um frühe Computerversionen auf alten Bronzeklumpen, Feuerräder, die im All, der Sphaira, kreisen, um eine erste Vorrichtung zur Redezeit-Bemessung, um all solche schrulligen Dinge also, sie einfach mitten ins Museum zu platzieren, zwischen ägyptischen Sarkophagen und strengen mittelalterlichen Madonnen, zwischen dem Rimini-Altar und vergnügten Jesuskindlein, die einem mit offenen Armen entgegen hopsen? Hier ist sie einfach genial.
Diese scheinbar so schrulligen Materialisierungen der Wissenschaft und des technischen Denkens entstammen nämlich der vorderasiatischen Archäologie, aus Ägypten und Mesopotamien aus dem 3. Jahrtausend v.u.Z., der Antike, Arabien und vor allem auch Asien, mit scheinbar so lustigen Dingen wie einer Elefantenuhr (als animierte Zeichnung auf einer Leinwand inklusive Glockenschlag), Wunderbühnen und einem sich in Echtzeit um sich selbst drehenden Speisesaal im Palast von Nero (Cenatio Rotunda, bei Ausgrabungen 2009 entdeckt), und sie sind so viel klüger als man gemeinhin annimmt, verraten ein so profundes Wissen in Astrologie, Technik, Physik, Chemie, Materialwissenschaft, Geometrie und Mathematik, dass man sich heimlich fragt, warum wir denn heute nicht schon viel weiter sind? Die Gretchenfrage schimmert auf im Hintergrund … Denn eine Renaissance beispielsweise hat weit vor Florenz schon Arabien und Asien ereilt: die Mongolen und darauf folgend die Timuriden aus Samarkand studierten Archimedes und Aristoteles und investierten unvermindert in die Wissenschaft, ganz anders als zur selben Zeit in Europa. Höchstens vielleicht noch im arabischen Andalusien tat man es, in Córdoba etwa, und auch Friedrich II. und sein Castel del Monte in Apulien darf als Ausnahme gelten (und wird entsprechend gewürdigt). Und wer weiß schon, dass eines der frühesten Observatorien in Teheran stand und das seinerzeit fortschrittlichste Krankenhaus in Kairo?
Die Grenzen zwischen Wissenschaft und Kunst zu verwischen und den griechischen Begriff »techne« der für alle von Menschen gemachte »Künste« steht, egal ob Ingenieurs-, Bau- oder Heilkunst, mit ausgesuchten Museumsinhalten zu füllen, ist Absicht dieser Ausstellung.
Der ebenfalls geniale Kurator des Hauses und Leiter der Abteilung Antike und Asien, Vinzenz Brinkmann, hat 97 Kunstwerke aus dem eigenen Haus und weitere bedeutende und kostbare Leihgaben aus New York, Neapel, Athen, Rom und Wien zusammengesucht und über das gesamte Museum in einem luftigen, überraschenden und vor allem sinnlichen Ausstellungsparcours verteilt. Auf dem Weg zu einem der Höhepunkte der Ausstellung, der Enträtselung des Frühzeit-Computers Antikythera durch den britischen Archäologen Tony Freeth, blitzt ab und an eine bemalte Gottheit zwischen den Skulpturen hervor. (Für die bunten Götter« war damals ebenfalls Vinzenz Brinkmann verantwortlich.) Dieser Enträtselung kommt man als Zuschauer neben aufwändigen Simulationen auf dunkel leuchtenden Wänden vor allem in einer zwölfteiligen Serie von spannenden Videos auf die Spur, die auf vier kleinen Monitoren zu besehen sind.
Es ist eigentlich unnötig, an dieser Stelle mehr von diesen wissenschaftlichen Instrumentarien und an die Wände projizierten Simulationen aufzuzählen, die Mitteleuropa eines halsstarrigen Konservatismus und einer Technologiefeindlichkeit überführen. Das Zentrum, das sich für das Zentrum der Kultur und des Wissens hielt, war überhaupt keines. Man muss es selbst gesehen haben: 5.000 Jahre Wissenschafts-und Kunstgeschichte werden hier spielerisch zusammengeführt, teilweise basierend auf antiken Texten über den Bau von Raumschiffen und Fluggeräten, Automaten und Robotern, und in diesem fluiden Kontext passt das Jesuskindlein von 1540 einfach fabelhaft zur arabischen Elefantenuhr und zum kunstvoll gravierten Universalastrolabium aus goldfarbenem Messing aus Syrien, die nahezu zeitgleich entstanden.
Diese neue Ausstellung schon vorab als neuesten Museums-Hit in Frankfurts nicht gerade armer Kunstlandschaft zu apostrophieren, war ein wenig gewagt, aber sie schafft etwas, was vermutlich nicht viele Ausstellungen schaffen: eine kaum zu bändigende Lust am Erkenntnisgewinn.

Susanne Asal / Foto: Ausstellungsansicht
© Liebieghaus Skulpturensammlung/Norbert Miguletz
Bis 10.9.: Di., Mi., 12–18 Uhr; Do., 10–21 Uhr; Fr–.So., 10–18 Uhr
www.liebieghaus.de

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