Niki de Saint Phalle, in der Schirn bis zum 21. Mai

Das Berühmteste, was eine Protagonistin der Gegenwartskunst zur Darstellung von Weiblichen geschaffen hat, sind zweifellos die Nanas der Niki de Saint Phalle (*1930 in Neuilly-sur-Seine, † 2002 in San Diego). Die so scheinbar unbeschwert knallbunt-naiv voluminösen Damen feiern seit Jahrzehnten die völlige Losgelöstheit vom männlichen Blick, von der patriarchalen Zurichtung, von der Reduzierung auf das Objekthafte. Sie haben sich in den femininen Bildervorrat eingereiht wie die Venus von Willendorf oder auch die von Milo, doch die Schirn wäre nicht die Schirn, wenn sie nicht eine weitere Perspektive auf das bereits so bekannte und gefeierte Ouevre der Künstlerin öffnen würde. Und deswegen begrüßt die Zuschauer*innen der Ausstellung nicht eine sinnenfrohe Nana, sondern ein kleiner Film, der die junge und schöne Niki in einem Drehschalensessel zeigt, die sich dem Publikum mit festem Blick vorstellt, um gleich darauf im weißen Emma Peel Anzug auf ihr eigenes Kunstwerk zu schießen. Dazu knallt ein Thrillerfilm-Sound aus den Lautsprechern, später dann kathedraliger Orgelklang.
Die Tirs, Schießbilder, waren in den 1960er Jahren IHRE ganz spezielle künstlerische Form und ihr Beitrag zur Avantgarde. Zunächst als spontanes Spektakel im Pariser Hinterhof konzipiert, entwickelten sie sich zu inszenierten Ritualen, und mit ihnen als Visitenkarte verortet Katharina Dohm, die die Ausstellung kuratiert hat, Niki de Saint Phalles künstlerische Heimat in der immanenten Gesellschaftskritik und im Aufruhr. Aber was heißt in diesem Fall Gesellschaftskritik, eigentlich meint es Sprengung von Denkräumen, Infragestellung jeglicher Hierarchien, Öffnung des abgeschotteten Kunstraumes in etwas Öffentliches, und vor allem: eine völlige Ablehnung weiblicher Rollenbilder. Mit den Akten der Zerstörung der eigenen Kunst – denn die Reliefs, auf die sie schießt, hat sie zuvor mühevoll aus zahlreichen Fragmenten wie Plastikspielzeug und -puppen zusammengebaut, mit Draht verbunden, mit Schichten aus weißem Gips und Kunststoff überzogen – stellt sie den Wert der Kunst infrage, und indem sie die Zuschauer*innen einlädt, es ihr gleichzutun, reißt sie die Wand nieder, die sie als Künstlerin vom Betrachter trennt. Auch Künstlerkollegen wie Jasper Johns und Robert Rauschenberg beteiligten sich an ihren Schieß-Performances. Der Zuschauer wird somit auch zum Autor eines Kunstwerks. Der Konstruktion folgt die Dekonstruktion folgt die Neu-Erschaffung.
In Barbie-Pink getauchte Wände, die ganz allmählich ins dunkle Violett schillern, plastikweiße Markierungen auf dem Boden: die Hallenästhetik der Schirn lässt die Schießbilder weniger düster und aggressiv wirken, doch die scheinbar harmlose Pop-Anmutung fordert das genaue Hinsehen. Als lässiger Kommentar ist ihr »Schießanzug« ausgestellt, dann folgen Bilderreliefs, deren Elemente entweder wie aufgeplatzt aus Barockgoldrahmen herausragen oder mit bunten Farbklecksen und Fäden übersät sind (»Old Master – Séance Galerie«, 1961).
Den politischen Rahmen ihres damaligen Kunstschaffens bildeten der Algerienkrieg, die Schweinebucht, der Kalte Krieg, wie sie es in ihrem riesigen (Schieß-)Wandbild »King-Kong« von 1963 zusammenfasst: neben den Masken von Nikita Chruschtschow und John F. Kennedy sind Hochhäuser zu sehen, von Flugzeugen bedroht, eine Gebärende, ein Hochzeitspaar wie auf mexikanischen Totenbildern, Ranken verdorrter Rosen: die gesamte Komposition in morbides Puderweiß getaucht, mit Schmauchspuren versehen.
Die chronologisch aufgebaute Ausstellung wirft Schlaglichter auf alle künstlerischen Phasen von Niki de Saint Phalle, und das sind nicht wenige. Auf die Schießbilder folgen die Assemblagen mit objets trouvés, die Reliefbilder aus bunten glänzenden Mosaiksteinchen, die Collagen, die an Dadaismus denken lassen, und die verstörenden, gleichzeitig betörenden Frauen-Skulpturen und Reliefs aus Fundobjekten und Plastikpuppen (»Die rosa Geburt«(1964), die riesige »Braut zu Pferd«(1997).
Nach den Nanas, dem bunten »Jubelfest der Frauen«, wie es die Künstlerin selbst betitelte und in der Schirn auch gebührend gefeiert wird, hat sie sich einem weniger gutgelaunten Frauenthema zugewandt, dem der »Verschlingenden Mütter«, hier vertreten durch zwei ausdrucksstarke und ironisch zugespitzte Skulpturen.
Skizzen und Modelle stellen ihre Arbeit am bunten – aber nicht nur spielerischen – toskanischen Tarotgarten vor, an dem sie bis zu seiner Eröffnung im Jahr 1998 über zwanzig Jahre gearbeitet hatte. Mit »Hon – En Kathedral« (Sie, eine Kathedrale) entwirft sie für das Moderna Museet in Stockholm ihre Interpretation des Gemäldes »Ursprung der Welt« von Gustave Courbet, das der Maler 1866 für einen Sammler malte. Es zeigt – ein unglaublicher Skandal – das unverhüllte weibliche Geschlecht einer liegenden, halb entblößten Frau aus einer intim nahen Perspektive. Genau einhundert Jahre später entsteht die 29 Meter lange »Hon«, eine durch die Vagina begehbare riesige pop-bunte architekturale Frauenskulptur, die Niki de Saint Phalle gemeinsam mit ihrem Lebensgefährten Jean Tinguely und Per Olof Ultvedt schuf. Im Innern befanden sich ein Vergnügungspark, eine Milchbar in einer Brust, eine mechanische Gebärmutter im Bauch, und ein Kino. Was war das nur für ein verstörendes, humorvolles, weibliche Rollen aufbrechendes, lebensbejahendes Bild!
Die politische Stellungnahme blieb eine feste Konstante in ihrem Werk. Die glitzernden, mit Spiegeln übersäten »Trilogie des Obélisques« und »Skull, Meditation Room« beziehen sich auf ihr Engagement für die AIDS-Aufklärung. Sie bilden den Abschluss dieses intensiven Spaziergangs durch die leuchtende, bittere, bunte, kluge Welt der Niki de Saint Phalle, die ihr Kindheitstrauma des väterlichen Missbrauchs als Ausgangspunkt ihres künstlerischen Schaffens genommen hat und zum Schluss selbst zu Wort kommen soll: »Statt zur Terroristin zu werden, wurde ich eine Terroristin der Kunst. Ich habe die Kunst als meine Erlösung angenommen.«

Susanne Asal / Foto: Ausstellungsansicht
© Schirn Kunsthalle, Frankfurt 2023, Foto: Norbert Miguletz
Bis 21. Mai: Di., So., 10–19 Uhr; Mi.–Sa., 10–22 Uhr
Umfangreiches Begleitprogramm, und zum ersten Mal nach der Corona Pandemie wieder eine Party: Schirn at Night am 18.März.
www.schirn.de

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert