Protest/Architektur. Barrikaden, Camps, Sekundenkleber – eine Ausstellung des DAM

Es ist die Ausstellung, derer es jetzt bedarf, fast mehr ein Fanal als eine Ausstellung. Zumindest kann man sie so lesen. Eine Ausstellung, die Mut macht. Dazu braucht es nicht viel, genau genommen, an originalen Exponaten. Dazu braucht es vor allem eines: wache Gedanken.
Denn die Exponate würden nicht sprechen, stellte das Deutsche Architekturmuseum nicht das Erleben und Erfühlen des Widerstands in den Vordergrund. Widerstand gegen die Staatsgewalt, politischer Einspruch dort, wo Lebensraum und Überleben begrenzt werden, wo Kapitalismus unbeherrscht wütet, wo sich Diktaturen den Weg bahnen, wo Demokratie eingefordert wird. Das Ausweichquartier im Ostend ist für diese Ausstellung sozusagen kongenial gewählt: das Volatile, das Nicht-Fertige, das Improvisierte passen haarscharf zum Volatilen des Themas, zur Architektur des Protestes. Dabei geht es nicht um veritable Gebäude, wobei der Turm der Startbahn West ja genau so ein standhaftes Symbol war, sondern um die Art, wie man sich etwas baut, um sich zu wehren. Es geht um die räumliche Auswirkung von Architektur auch im Städtebau (ein sehr wirkungsvolles Beispiel wird am Ende des Rundgangs Thema sein) und wie man seinen Körper selbst mittels Sitzblockaden und Klebeaktionen zur Architektur macht.
Das Museum als Chronist zählt zahllose Beispiele auf: von den ersten Barrikaden in Frankreich im Jahr 1588 – die Etymologie ist sich noch uneins, woher dieses Wort stammt: von den »Barrique«-Fässern, die zur Weinlagerung dienten und zu Barrikaden umfunktioniert wurden, oder vom Verb »barrer« (= versperren) – bis heute. Zahlreiche Fotos und Bild-Reproduktionen von Barrikaden sind lose an die Wände geheftet und flattern im Luftzug, sie zeigen Proteste über Hunderte von Jahren hinweg und über den gesamten Globus verteilt.
Den Einstieg ins Thema schafft mühelos eine schwebende Y-Brücke aus dem Hambacher Forst, die auf 16 Metern Höhe angebracht war. Hier pendelt sie nun eingekürzt ein paar Zentimeter über dem Boden. Jeder, der sich die Schuhe auszieht, ist eingeladen, sie zu betreten. Zusammen mit weiteren Brücken, Traversen und Kletternetzen verband sie Baumhäuser im Barrio »Oaktown« und vermittelt einen sehr nachhaltigen Eindruck von der Phantasie, mit der es gebaut wurde.
Daneben hat sich das Innenleben des Camp in Lützerath quasi materialisiert: auf einer großen Plane ist all das ausgebreitet, was sich die Bewohner*innen des Camps in einer Weihnachtsliste 2022 an Spenden wünschten: Neben Zelten, Decken, Lebensmitteln und Hängematten sind es Baumaterialien, Werkzeug und Glitzerspray, mit dem man sich die Fingerkuppen einsprühen und damit für die Polizei unidentifizierbar machen konnte.
Das Architektenkollektiv Something Fantastic hat im Anschluss an diese erste Halle einen leicht labyrinthischen Parcours mit den Mitteln, die im DAM selbst zu finden waren, zusammengestellt: Im Fundus des Museums vorgefundene Tische, Einbauten, Gitterwände, Spanngurte und Kabelbinder wurden zu Barrikaden umfunktioniert, als Referenz zur Protestarchitektur, die ebenfalls stets das nahm, was sie vorfand. Das Museum hat plötzlich selbst etwas vom Camp.
Insgesamt 13 Case Studies von 1968 bis 2023 bilden das Herz der Schau: Neben Lützerath und Hambacher Forst sind das aus Deutschland Gorleben und die Startbahn West, die Resurrection City in Washington, die mit dem Ziel entstand, »den Armen zur Sichtbarkeit zu verhelfen«, die Proteste am Tahrir-Platz in Kairo, die den Arabischen Frühling einleiteten, der Movimiento 15 M (Mayo) auf der Puerta del Sol in Madrid gegen die Auswirkungen der Finanzkrise, die Occupy Bewegung in New York, die Maidan-Proteste in Kiew, das Umbrella Movement in Hong Kong, die Farmers Proteste in Delhi und »Lobau bleibt« in Wien. Den würdigen Endpunkt setzt die MTST-Bewegung in Brasilien, eine Bewegung, die über Landbesetzungen durchsetzen konnte, dass sozialer Wohnungsbau entstand. Fotos, Dokumente, akribisch nachempfundene Modellbauten, ein Nudelsieb als Helmersatz vom Maidan sprechen eigentlich nur eine Sprache: Phantasievoller Widerstand.
Wunderbar verdichtet hat diese Sprache der Film »Protest/Architecture« von Oliver Hardt. Überall an diesen Orten standen und stehen Menschen auf, organisierten sich, fanden sich zusammen, brauchten und bauten Plätze, Orte, Symbole des Widerstandes, aber auch des Treffens, der Übereinkunft, der Kommunikation. Es ist nicht vorbei, sagt dieser Film, diese Plätze wurden nur zerstört.
Dem DAM ist in Kooperation mit dem Museum für Angewandte Kunst in Wien eine so leichtfüßige, so überzeugende, so empathische Ausstellung über die Widerstandsbewegungen der Welt gelungen, dass man am liebsten selbst sofort weitermachen möchte, sich einreihen in den Kampf für eine Utopie von der gerechten Gesellschaft, sich so einen Starter-Kit der brasilianischen MTST–Bewegung schnappen, der hier ausgestellt ist, und auch einen Platz, einen Ort besetzen für sozialen Wohnungsbau, gegen die Abholzung des Regenwaldes, für den Stopp des Kohleabbaus. Aus drei Pfosten, einem Plastikband und einer Plane besteht dieser Starter-Kit, daraus bauten sich die Teilnehmer*innen ein winziges Zelt, Tausende von ihnen, um sich für den Bau von Sozialwohnungen einzusetzen.
Träume säen, so lautete ihr Motto, und Eroberungen ernten.

Susanne Asal
Foto: 2019 Hambi, © Tim Wagner
Bis zum 14.1.2024: Di., Do., Fr., 12–18 Uhr; Mi., 12–19 Uhr; Sa., So., 11–18 Uhr
www.dam-online.de

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