Soundwalk – eine faszinierende, tolle Ausstellung im Museum der Weltkulturen

Bin ich in eine Silent Disco geraten? Das Museum für Weltkulturen ist derzeit bevölkert von Besucher*innen, die mit Kopfhörern auf den Ohren in ihrer eigenen Choreografie sinnierend durch die Räume schreiten. Das sieht lustig aus. Und ist noch klüger konzipiert. Denn eine Menge Fragen hat sich das Museum gestellt, z.B.: Woraus bestehen Klangwelten, Soundscapes, wie prägen sie das Bewusstsein? Worin besteht der Unterschied zwischen einem Geräusch, einen Ton, einem Klang, worin besteht Musik? Welche Töne sind verloren gegangen, welche konnten und können vor dem Vergessen gerettet werden? Was hat das mit Umweltbewusstsein zu tun? Ähneln sich die Definitionen von Klangordnungen überall auf der Welt, wo gibt es Unterschiede und warum? Wann begreift man etwas als Melodie, woraus schöpft man Anregungen zur Klangproduktion? Wenn ein Vogel singt, ist das schon Musik, und: fügt sich das überall auf der Welt in dasselbe Schema von Schönheit und Wohlklang?
Auf alle diese Fragen, die diese Ausstellung aufwirft, haben das Museumsteam mit ihrer Kuratorin Vanessa von Gliszczynski die überzeugendste Antwort gefunden: es gibt was auf die Ohren. Zu sehen natürlich auch. Das Belehren läuft als Subtext quasi spielerisch mit. Die Gäste bekommen einen Audioguide, der sich automatisch auslöst, sobald man sich vorbestimmten Exponaten oder Videos nähert. Den theoretischen Unterbau hat der kanadische Komponist R. Murray Schafer geliefert, indem er jedem Ort der Welt einen spezifischen Klang zuordnet, der sich in einer Soundscape oder Klanglandschaft manifestiert. Sich mit einem Aufnahmegerät durch Städte, Dörfer, Flusslandschaften, Almen oder Dschungel zu bewegen und die jeweils spezifischen Geräusche zu dokumentieren, konserviert sozusagen die Gegenwart und lässt ein Geräusch-Album von der Welt entstehen. Von der ganzen Welt, und aufgepasst: gleichwertig.
Und genau das passiert hier. In zwei Hörräumen verwandelt sich die Theorie in Praxis: in einem Soundscape vom Eisernen Steg fließen Schiffsgeräusche, Glockengeläut, und der Gesang von Wasservögeln zusammen, gefolgt von einem Dschungelkonzert aus Französisch-Guyana, Aufnahmen einer Pinguin-Kolonie in der Antarktis und einem Palmsonntag im andalusischen Ronda. Hier wird schon einmal aufgefächert, was als Fragestellung die gesamte Schau durchzieht: was ist Ton, was Geräusch, was Gesang, was Komposition, leitet sich Komposition von Tönen aus der Natur her, imitiert sie sie sogar? Dafür liefert der Film »Männerinitiation« in Japanaut in Neu-Guinea ein tönendes Beispiel, in dem zwei Männer mit dem Spiel auf sanduhrförmigen Wassertrommeln das Auftauchen des mythischen Ur-Krokodils, des Weltenschöpfers simulieren. Weniger verrätselt ist der »Arlee Ironwoman Jingle Special« aus Montana, ein Stampftanz der Frauen, die mit silbernen Schellen besetzte Kleider tragen. Bei jedem Schritt der betont rhythmischen Musik klirrt und klingelt es wunderbar von den farbenprächtigen Kleidern. Dieser Tanz wird meist in Gruppen aufgeführt und ist fester Bestandteil der Pow Wows indigener Gruppen in Nordamerika. Viele verbinden den Tanz auch mit Heilung: spirituelle Klänge in der Luft werden durch den Jingle Dance ausgelöst. Er ist hier in einem Video festgehalten, ein Tanzkostüm ist ausgestellt.
Eine weitere Fragestellung führt hinein in die Kolonialzeit und in diesem Fall in den von den Spaniern unterworfene Andenregion von Peru und Bolivien, wo die Charango sehr präsent ist und als nationales Symbol betrachtet wird. In der Tat ist sie jedoch der südspanischen Vihuela sehr verwandt und wird in diesem Zusammenhang auch kontextualisiert: Inwieweit haben sich kolonialspezifische Kulturwerte in den Kolonien verbreitet, wie werden sie wahrgenommen? Als authentisch? Oder symbolisieren sie nur das Fortbestehen der gesellschaftlichen Hierarchien auch nach der Kolonialzeit?
Wirklich fremd und sehr wohl noch in eine intakte Kultur gebettet: die einer Bambus-und Palmblattskulptur ähnelnde Mundorgel Kadekek und das balinesische Instrumentenensemble Gamelan. Und was ist in unserem Kulturkreis verloren gegangen? Auch das ist erzählenswert: ein kleines Kabinett ist mit Beispielen von verlorenen Tönen in unserer Welt – Telefonwählscheibe, Kaugummiautomat – bestückt.
Auch der Treppenaufgang zum ersten Stock bleibt keineswegs ausgespart: ihn schmückt ein Mobile aus bemalten und geschnitzten Schwirrhölzern, die aus Neuguinea, Vanuatu und dem Amazonasgebiet von Brasilien stammen. Die Klangcollage entstand aus verschiedenen Aufnahmen des Instruments.
Insgesamt 24 akustische und visuelle Stationen sind in den Räumen des Museums aufgebaut, viele Fragestellungen sind auf sinnliche Weise gelöst und dargelegt, und nun – sind die eigenen Ohren und Augen gefragt.

Susanne Asal / Kuratorin Vanessa von Gliszczynski der Ausstellung Klangquellen – Everything is Music im Weltkulturen Museum, © Wolfgang Günzel
Bis 1. September2024: Mi., 11–20 Uhr; Do.–So., 11–18 Uhr.
www.weltkulturenmuseum.de

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