The Culture – Eine Schau zum 50. Geburtstag des Hip-Hop in der Schirn

Als das französische Nationalheiligtum Louvre im Jahr 2018 für einige Tage gesperrt wurde, um dort ein Video für The Carters zu drehen, war es um die Symbolkraft und Vorherrschaft des alten weißen Europa als kulturstiftende Identität geschehen. The Carters, das sind nicht weniger als Jay Z und die Königin, nein, die Imperatrice des Hip-Hop, Beyoncé. Auf diesen heiligen Marmortreppen singen Beyoncé und Jay Z vom »Gorilla im Coupé, jeden Abend in der Endzone«, selbstreflexiv, provozierend, sie singen und rappen vor Mona Lisa, den Rosso Fiorentinos, dem »Floß der Medusa« von Théodore Géricault, dem »Portrait d‘une négresse« von Marie-Guillemine Benoist und der Büste einer ägyptischen Pharaonin. Beyoncé, die Gattin von Jay Z, ist schöner als alle zusammen. Gucci, Versace, Cartier, Tiffany, name them, alles trägt sie, alles adelt sie. Und ihn auch. Kleine Fische. Sie haben es geschafft. Kultur ist jetzt Culture und nennt sich auch so.
Doch klein hat in dieser Familie keiner angefangen, ganz im Gegensatz zu der Bewegung, an deren Spitze sie nun unangefochten stehen. Und die in der Straße wurzelt, nicht auf irgendeiner, sondern in den Straßen der Bronx, Harlems, den Einwandererstraßen der Latinos. Rap, Breakdance – mehr Kampf als Tanz, die Grenzen des eigenen Körpers herausfordernd, choreografiert nach hämmerndem Stakkato-Sprechgesang – eine Zur-Schaustellung der Körperlichkeit, der Kraft, des Zorns, der Wut.
Gut, so fing es an vor 50 Jahren, als DJ Herc in der Sedgwick Avenue in der Bronx seine ersten Blockparties gab. Doch hat sich der revolutionäre Impetus dieser Kulturbewegung schon aufgezehrt, indem er sich dem Mainstream einverleibte? Wer hat hier wen einverleibt? Romantische street credibility – nur noch Behauptung, ausgehöhlt von diesem Machtgeflecht aus Produktions-Design-und Modefirmen? Und damit unglaubwürdig?
Diesem Phänomen widmet die Schirn jetzt eine aufregende Schau. Sie greift Stationen der Identitätsbildung und -äußerung heraus, der Gebärde des rauen, ungezähmten Anti-Seins, das allein durch die selbstbewusste Definition des »Unten« sich einen eigenen Kosmos schafft.
Die Ausstellung wurde vom Baltimore Museum of Art und dem Saint Louis Art Museum konzipiert und in wesentlichen Teilen übernommen. Damit ist der Schwerpunkt – räumlich wie zeitlich – gesetzt. Sie untersucht die Frage, inwieweit Hip-Hop in den letzten 20 Jahren Kunst und Mode bestimmt haben, nicht mehr, aber auch nicht weniger. Die Wurzeln in der Bronx werden gleichsam zitiert – im Themenbereich »Tribut«. Die in sechs Stationen (Pose, Marke, Schmuck, Tribut, Aufstieg, Sprache) unterteilte Ausstellung überprüft schonungslos Rollenbilder. Welche werden gesetzt, ironisiert, persifliert, attackiert? In welchen Sphären wird Erfolg verhandelt? Im demonstrativen Vorzeigen des materiellen Besitzes in einer subkulturellen Geste, der mit Gold und Brillanten inkrustierten Zähne, z.B., den grillz? Der Kult ums Haar: versteckt man die eigenen Haare unter schreiend bunten Perücken oder stilisiert sie endlos, wie in einem Video aus Ghana zu sehen, das fast körperlich weh tut.
Wie haben Inhalte des Hip-Hop und Rap die Kunst inspiriert, wie spiegeln sie sich in den Arbeiten der Künstler*innen, Maler*innen, Performer*innen? Wie haben sich weibliche Erfahrungen von Unterdrückung und Dominanz in den Texten der Rapper*innen manifestiert? Wo beginnt die Herrschaft des weiblichen Bildes von der starken sexuellen Frau, die sich mit ihren Schwestern gegen das Patriarchat durchsetzt?
Ja, es tut in dieser Ausstellung Einiges weh. Hinter der glitzernden bunten Oberfläche schimmert so viel Rauheit durch, so viel Doppelbödigkeit – eigentlich ist jedes Exponat eine Frage und ein Statement zugleich, auch der Laufsteg mit der von Hip-Hop-Stars geschaffenen Mode. Neben saudischen Prinzessinnen hat sich ja die erfolgreiche Klientel der Culture zum potenten Abnehmer der Haute Couture entwickelt, da liegt die Frage nah, warum entwerfen sie nicht gleich selbst. Ja, taten sie: für Gucci (Dapper Dan), für Louis Vuitton (Virgil Abloh). Pharrell Williams trug einen von Vivienne Westwood für Malcom MC Laren (von den Sex Pistols) entworfenen Hut.
Als Einstieg in die Ausstellung springt uns Tschabalala Self förmlich entgegen mit ihrem »Settas’s Room«, dem Gemälde einer jungen Frau in ihrem Mädchenzimmer, an der Wand ein provokatives Plakat von Lil’ Kim. Ein Rollenvorbild fürs künftige Leben? Eine Collage von Nina Chanel Abney, die als Albumcover diente, zeigt extrem stilisierte Frauenbilder – sexistisch, oder eine Kritik am Sexismus?
Ein eindrucksvolles Kunstwerk hat Anthony Olubunmi Akinbola geschaffen, eine Collage aus zerschnittenen und gedehnten Durags, flexiblen Kopftüchern, die dem Schutz schwarzen Haares dienen. Und dann dies: eine Landkarte aus protzigen Goldketten, welche die »Handelswege« der Sklavenhändler nachzeichnen. Ein Tintenstrahldruck mit collagierter Fotografie von Deana Lawson, »Nation«, zeigt zwei goldbehängte Jungs, der eine mit einem wahnsinnigen Wangenspreizer, und obendrüber das Bild des Gebisses von George Washington, der es sich aus Zähnen von Sklaven und Golddraht fertigen ließ. Ein rasendes Video zeigt einen Lamborghini, der sich auseinanderfliegend um die eigene Achse dreht, zum gerappten Text von Martin Luther King »I have a dream«.
Das älteste Kunstwerk übrigens stammt von Jean-Michel Basquiat, »Lester Yellow«, und ist in der Sektion »Tribut« zu sehen. Das achtminütige Video TNEG besteht aus zwei ineinander verflochtenen Teilen: eine poetisch-expressive, bittere Tanzperformance verbindet sich mit einem Konzert von Beyoncé und Jay Z.
Fragmente, Kompiliertes: indem die Ausstellungsdramaturgie diese Hip-Hop-Kunstform für sich übernimmt, spricht sie auch die Einladung aus, den eigenen Kulturbegriff, das eigene Sehen einmal gründlich zu überprüfen. Siehe Louvre, siehe oben …

Susanne Asal / Foto: Monica Ikegwu, Open/Closed, 2021, Courtesy der Künstlerin und Galerie Myrtis, © Monica Ikegwu
Bis 26. Mai: Di., Fr.–So, 10–19 Uhr; Mi., Do., 10–22 Uhr.
www.schirn.de

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